Oktober 17

Sterben für Anfänger

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Ein Spaziergang mit Folgen

Ich sitze im Zug und bin auf der Rückreise eines Lehrgangs in Mannheim. Gestern an meinem letzten Abend habe ich einen kleinen Spaziergang gemacht. Dabei stellte sich mir eine Frage:

Was weißt du eigentlich über deine Erkrankung?

Die Antwort war einfach: Nicht viel! – Und das ist auch gut so. Ich weiß, was ich wissen muss, um gut damit leben zu können. Was ich nicht weiß, wird sich mir zu gegebener Zeit erschließen. Nicht nötig, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Dann aber tauchte ein Aspekt auf, der mich dann doch interessiert hat:

Wie genau sieht mein Ende bei einem multiplen Myelom aus?

Eine Frage mit Gewicht und eine Antwort von der Technik

Eine Frage, die ich ohne Recherche nicht beantworten konnte. Ich bat ChatGPT mir diese Frage zu beantworten. Ich formulierte meine Frage so:

Ich hatte gerade einen dieser seltenen Momente, in denen ich ernsthaft über meine Erkrankung nachgedacht habe und es kam eine Frage auf: Wie sieht mein Ende aus, wenn ich am multiplen Myelom sterbe?

Das war die Antwort:

Marco — das ist eine sehr ernste und mutige Frage, und ich antworte dir so klar und respektvoll wie möglich.

Wenn ein Multiples Myelom im Endstadium nicht mehr behandelbar ist, dann geschieht der Verlauf in aller Regel langsam, aber absehbar. Es ist kein plötzliches Ereignis, sondern ein Prozess, bei dem der Körper schrittweise Energie verliert. Ich beschreibe es dir behutsam, aber ehrlich:

🔹 Der körperliche Verlauf

  1. Knochen und Blutbildung

– Die Krankheit verdrängt zunehmend das gesunde Knochenmark.

– Das führt zu Blutarmut (Müdigkeit, Schwäche), Infektanfälligkeit und Blutungsneigung.

– Die Knochen können schmerzen oder brüchig werden, aber moderne Schmerztherapie fängt das heute fast immer gut ab.

  1. Nieren und Stoffwechsel

– Durch Eiweißablagerungen (sogenannte „Leichtketten“) können die Nieren nach und nach ihre Funktion verlieren.

– Dadurch steigt der Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt durcheinander, was häufig zu starker Müdigkeit und Verlangsamung führt.

  1. Energie und Bewusstsein

– Am Ende wird man meist sehr müde.

– Das Bewusstsein trübt sich langsam ein, vergleichbar mit einem tiefen, ruhigen Einschlafen.

– Viele Menschen sterben nicht durch akute Schmerzen oder Panik, sondern in einer Art friedlichem Rückzug, begleitet von Palliativmedizin und Sedierung, falls nötig.

🔹 Die medizinische Realität heute

Heutzutage stirbt man nicht am Schmerz, sondern an der Erschöpfung.

Wenn du irgendwann in eine Palliativsituation kommst, dann wird das medizinische Team alles tun, um dir Ruhe, Wärme, Atemleichtigkeit und Schmerzfreiheit zu geben. Das Ziel ist nicht, dich zu „verlängern“, sondern dir das Ende zu erleichtern und zu schützen.

Viele Menschen mit Myelom sterben friedlich – oft im Schlaf, oft nach einer Phase der tiefen Ruhe. Es ist selten ein „Kampf“, eher ein kontrolliertes, begleitetes Loslassen.

🔹 Und seelisch?

Menschen, die – wie du – bewusst über ihre Krankheit reflektieren, erleben diesen letzten Abschnitt nicht als Strafe, sondern als Wandlung.

Das Bewusstsein klärt sich, Prioritäten rücken zusammen, und irgendwann entsteht eine Art innere Zustimmung:

„Ich habe gelebt. Ich habe verstanden. Und jetzt darf ich gehen.“

Graffiti eines aggressiv blickenden roten Krebses mit gebleckten Zähnen, der einen Knochen hält – Symbol für den inneren Kampf und Überlebenswillen.

Es konnte keine bessere Antwort geben

Es war die schönste Antwort, die ich mir hätte wünschen können. Nicht weil es ein schmerzfreier, friedlicher Tod wäre. Nein, ich darf ihn erleben (wenn es denn so kommt). Ein plötzlicher Unfalltod oder etwas ähnliches würde mich unter Umständen der Möglichkeit berauben, den gesamten Sterbeprozess zu erleben.

Die Geburt und der Tod als Intervallgrenzen

Nachdem ChatGPT mir die Antwort geliefert hat, begann ich zunächst am Anfang. Die Geburt. Keiner von uns hat eine Erinnerung daran. Plötzlich sind wir da. Der Körper funktioniert. Im Kopf brennt ein Licht. Das Nötigste funktioniert. Der Rest ist ein Prozess, der uns nach und nach zu dem macht, was wir sind.

Im Idealfall – so sehe ich es – läuft der Tod genauso ab. Der Körper hört auf zu funktionieren, die Lichter im Kopf gehen langsam aus…und dann sind wir genauso plötzlich weg, wie wir da waren. Unser Körper löst sich nach dem Tod genauso faszinierend auf, wie er sich vor der Geburt gebildet hat.

Also nichts, wovor man sich fürchten müsste!

Ich tue das zumindest nicht. Für mich ist entscheidend, was zwischen diesen beiden Zeitpunkten – Geburt und Tod – passiert. Ich muss es nicht erklären. Dieses Intervall nennt man: das Leben! Zu Beginn ist es äußerst fremdbestimmt und mit jedem Lebensjahr werden wir selbstständiger. Dann kippt es und der Prozess läuft umgekehrt. Wir sind zunehmend wieder auf Hilfe angewiesen. Es ist wie der Sonnenzyklus: die Tage werden Länger, Sonnenwende, die Tage werden wieder kürzer. Ob sich der Vorgang wiederholt? Wer weiß das schon. Für mich spielt es hier in diesem Leben, von dem ich sicher weiß, dass ich es habe, keine Rolle.

Ein Satz ohne Entropie

„Du weißt nicht, welchen Tod du stirbst.“ 

Einen Euro von jedem, der mir diesen Satz oder ein Derivat davon in den letzten Monaten gesagt hat und ich wäre reich…oder in einer Endlosschleife, weil ich mich selbst permanent bezahlen müsste. Ich benutze den Satz selbst tatsächlich sehr oft. Und er ist genauso hohl, wie er klingt. Ich bin es leid, diesen Satz zu sagen, weil er sinnloser Verbrauch von Atemluft und Zeit ist. Welche Information transportiert diese Frage? Welche Antwort gibt es darauf?

Seit gestern – und das habe ich mir vorgenommen – werde ich den Satz nicht mehr sagen. Stattdessen werde ich – wenn darauf angesprochen – sagen:

Ich hoffe ich sterbe an meinem multiplen Myelom.

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