Oktober 8

„Ich sage mal so…“ – muss ich mich belügen lassen?

Die Anfänge einer Leidenschaft – wie ich lernte Menschen zu lieben

Ich war viele Jahre Ausbilder bei der Bundeswehr und habe früh gelernt:

„Willst du ein guter Ausbilder werden, genügen Dienstgrad, Fachwissen, Autorität und Ausstrahlung nicht. Du musst wissen, dass deine Untergebenen aufs Klo müssen, bevor sie es selbst wissen!“

Ich hatte schon immer ein Händchen dafür die Dinge zu hören, die nicht ausgesprochen werden. Zu lesen, was nicht geschrieben steht. Zu sehen, was nicht sichtbar ist. Nicht, weil ich besonders talentiert wäre oder eine Gabe hätte. Nein, ich finde uns Menschen einfach faszinierend. Menschen machen mich neugierig. Wir sind so komplex und gleichzeitig doch so simpel. So individuell und doch so gleich.

Ich muss es euch gestehen: Begegne ich euch, liegt ihr automatisch auf meinem Seziertisch! Ich beobachte jeden einzelnen von euch, wenn ich mit euch spreche – oder auch einfach nur in eurer Nähe bin. Oft schaue ich euch nicht mal an, wenn ich mit euch spreche. Ich tue das nicht aus Desinteresse – im Gegenteil!

Ich versuche euch zu verstehen. Ich möchte die Wahrheit. Ich möchte das mitbekommen, was ihr nicht steuern könnt: Ich versuche euer Gesagtes UND eure Körpersprache wahrzunehmen. Nicht als „Beifang“, sondern aktiv. Ihr sagt so viel mehr, als euer Mund je sagen könnte…

Wo Licht ist, ist auch Schatten

Leider hatte das aber auch zur Folge, dass ich oft enttäuscht wurde, weil die Körpersprache nicht zum Gesagten passte. Gerade in jungen Jahren und erst recht als junger Ausbilder hatte ich das Gefühl, dass ich permanent „belogen“ werde. Kein schöner Zustand und gefährlich obendrein. Zunehmendes unbegründetes(!) Misstrauen war etwas, dass ich zunehmend an mir beobachten konnte. Mir wurde aber auch schnell bewusst, dass das Problem nicht im Außen liegen konnte! Ich machte etwas falsch!

Nimm es nie als selbstverständlich. Lerne aus allem!

Eher durch Zufall stieß ich auf Samy Molcho und sein Buch „Körpersprache“. Nachdem ich es gelesen hatte, war mir klar, dass ich den Schlüssel zu meinem Problem gefunden hatte! Vieles deutete ich falsch. In vieles interpretierte ich zu viel. Oftmals ging ich von mir aus und schloss auf andere. Es gab viele Gründe, für mein Misstrauen – vieles, was verbesserungsfähig war.

Ich stürzte mich in die Thematik und verschlang alles, was ich hierzu in die Finger bekam. Folgende Bücher sind für mich DIE Referenzen zu dem Thema und ich kann sie nur jedem ans Herzlegen, der sich für das Thema „Körpersprache“ interessiert:

Anmerkung: Die oben aufgeführten Links sind Affiliate-Links. Ich habe - soweit vorhanden - auch die Hörbücher verlinkt. Ich empfehle bei Interesse aber tatsächlich die Bücher in Papierform, statt Hörbücher, da die Papierformen oft illustriert und mit Bildern verständlicher gemacht sind. Den Kaufinteressenten möchte ich die Verwendung dieser Links ans Herz legen, da sie mir helfen, diese Seite weiterhin werbefrei betreiben zu können.

90% Selbstschutz – Die eigene Festung!

Im Laufe der Jahre lernte ich Menschen immer besser kennen. Meine Tätigkeit erlaubte es mir junge Männer (und später auch junge Frauen) in sehr belastenden Situationen zu beobachten. Es liegt in der Sache der Natur des Soldatenberufs – insbesondere als Soldat in einer kämpfenden Einheit – solch belastenden Situationen ausgesetzt zu sein. Immer und immer wieder und es ist nicht leicht zu einem mitdenkenden, mitfühlenden, gewissenhaften und pflichtbewussten „Krieger“ zu werden. Der Grat ist schmal und die Ausbilder tragen eine enorme Verantwortung für jeden einzelnen, sie gut auszubilden.

Als Ausbilder ist man sehr häufig dem Widerstand einzelner oder gar der ganzen Gruppe ausgesetzt, da versucht wird – und das ist nur zu verständlich – der Belastung aus dem Weg zu gehen. Ich lernte, dass 90% dessen, was mich anfangs misstrauisch gemacht hat, in Wahrheit reiner Selbstschutz ist. Ich stelle auch heute – außerhalb des Soldatenlebens fest: es bleibt bei den geschätzten 90%.

Es ist selten böse gemeint, fühlt sich aber oft böse an

Menschen sind unfassbar kreativ, wenn es darum geht sich selbst zu schützen, das Gesicht zu bewahren, ein Hintertürchen zu suchen. Die Wenigsten suchen die Konfrontation, um ihren Standpunkt klarzumachen und zu verteidigen. Eine sanftere Lösung wird bevorzugt. Ein Kompromiss. Eine Notlüge. Eine Teilwahrheit. Egal was – Hauptsache die große Konfrontation kann vermieden werden. Nur ungern wird polarisiert (auch wenn mancher gerne propagiert, er polarisiere).

Der Eiertanz, der nun vollführt wird, ist ein Geflecht aus leeren Worten, welche die Wahrheit transportieren und gleichzeitig verschleiern sollen. Ein gängiges Mittel in Rekrutenkreisen ist die sog. Neukrankmeldung. Steht eine Übung, ein Biwak bei eisigen Temperaturen an, steigt die Anzahl der Neukrankmeldungen spätestens am Morgen des Beginns der Übung, sprunghaft an. Für den Ausbilder eine zwiespältige Situation: Grundsätzlich steht man der Krankmeldung machtlos gegenüber. Sie ist ein Fakt, der unanfechtbar ist. Wer will schon ohne medizinische Ausbildung beweisen, dass das Gegenüber gesund und eben nicht krank ist? Andererseits sehe ich als Vorgesetzter denjenigen (und seine gespielte(!) Körpersprache) und weiß sofort, dass er tatsächlich nicht krank, sondern nur unwillens ist! Von hier aus gibt es im Wesentlichen drei Möglichkeiten: Ich reagiere mit Gleichgültigkeit, mit Wut ooooooder mit Mitgefühl/Hilfsbereitschaft!

Die Selbstregulierung finden und steuern

Gleichgültigkeit

Gleichgültigkeit schützt in diesem Augenblick mich selbst. Sie entkoppelt mich von meinem Gegenüber. Ich lasse nichts zu. Weder die Möglichkeit „verarscht“ worden zu sein noch die Möglichkeit, dass tatsächlich eine Erkrankung vorliegt. Gleichgültigkeit dient ausschließlich mir selbst und je nachdem, ob mein Gegenüber tatsächlich krank ist oder nicht, wird er meine Gleichgültigkeit entsprechend für sich einordnen. Ist er krank, kann er sich (ggf. zu Recht) im Stich gelassen fühlen oder – im anderen Fall – fühlt er sich möglicherweise ertappt.

Wut

Wut ist ein Ventil. Sie kann hilfreich sein, wenn der Kessel zu platzen droht. Die erste Krankmeldung des Morgens mag man noch gelassen hinnehmen. Bei der Zehnten (und dem immer weiter ansteigenden Gefühl verarscht zu werden) ist es um die eigene Gelassenheit nicht mehr so gut bestellt. Für den Augenblick kann ein Wutausbruch den Druck mindern. Die Frage ist: Zu welchem Preis? Mein Gegenüber wird vermutlich zunächst unangenehm berührt sein. Wer sieht sich schon gerne einer Wutattacke ausgesetzt? Doch letztlich ist dieser Ausbruch auch gleichzeitig die Kapitulationserklärung! All meine Machtlosigkeit gegen die Krankmeldungen manifestiert sich in einem Wutausbruch. Für mein Gegenüber ist der Wutausbruch (der ja fast schon eingeplant ist) immer noch besser, als die Aussicht tagelang in der Kälte unter widrigsten Bedingungen leben zu müssen.

Mitgefühl/Hilfsbereitschaft

„In dubio pro reo“ – Im Zweifel für den Angeklagten. Der beste Weg mir selbst gegenüber ist es die ganze Angelegenheit souverän zu handhaben. „Du meldest dich krank? Ich vertraue dir und gehe davon aus, du bist es.“ Die Fakten einfach hinnehmen – im Außen. Und im Inneren? Will ich meine innere Ausgeglichenheit bewahren, bleibt mir gar nichts anderes übrig, als die Krankmeldung als wahr anzusehen. Ich kann das Gegenteil nicht beweisen – und es stellt sich die Frage: Muss ich das überhaupt? Durch diese Herangehensweise bewahre ich das Vertrauensverhältnis. Ich unterstelle nichts, was ich nicht beweisen kann, und ich schenke meinem Gegenüber Glauben. Dies fördert vertrauen…im günstigsten Fall.

Vertrauen vs. Misstrauen

Es ist eine Binsenweisheit, dass es schwer ist, Vertrauen aufzubauen und leicht ist, aufgebautes Vertrauen zu zerstören. Es genügt manchmal nur ein Blick oder ein Schweigen, dass mehr als die sprichwörtlichen 1000 Worte sagt und das Vertrauen ist futsch.

Mein sehr geschätzter Professor (und ich betrachte ihn bis heute auch als Mentor) pflegte zu sagen:

„Ich bin nicht nachtragend, aber ich vergesse nichts.“

Ich fand den Satz immer amüsant, wusste aber auch, dass er eine deutlich größere Tragweite hat, als es der lustige Unterton zu überspielen vermag. Ich musste mir selbst aber auch eingestehen: Ich habe fast 10 Jahre gebraucht, bis ich verstand!

Loslassen um des eigenen Frieden Willen

Nicht nachtragend zu sein bedeutet anders ausgedrückt loszulassen, zu vergeben oder noch klarer: Sich selbst die Erlaubnis zu geben, einen Umstand nicht weiter zu „würdigen“. Bleiben wir bei den Krankmeldungen:

Noch bevor ich mit den Gesunden das Gebäude verlasse und 3 Tage in der Kälte lebe, sehe ich schon bei dem ein oder anderen „Kranken“ eine Art Spontanheilung! Die Erleichterung, nicht teilnehmen zu müssen, ist ihnen anzusehen. Man spürt förmlich, wie sie merken: „Mein Plan ist aufgegangen.“

Der Verrat – der Moment der Verarsche

Spätestens jetzt weiß ich als Ausbilder aber, womit ich es zu tun habe. Ich wurde…verarscht! Leider bringt mich diese Erkenntnis nicht weiter. Es wird der Tag kommen, an dem ich mit diesem Soldaten arbeiten muss – und das kann auch bedeuten: gemeinsam im Gefecht zu sein! Ich kenne nun seine Schwäche: Er geht belastenden Situationen aus dem Weg und er hat (mangels Teilnahme an Übungen) auch nicht gelernt, sich ihnen zu stellen.

Das ist nicht nur eine Gefahr für ihn selbst, sondern für alle anderen auch! „Funktioniert“ er nicht im Gefecht, kann das im schlimmsten Fall den Tod aller bedeuten. Damit es nicht so weit kommt, muss ich als Ausbilder und Vorgesetzter reagieren – bevor es zu spät ist!

Der Moment des Vergebens

Es hilft nichts mit dem Umstand zu hadern, dass sich dieser Jemand im Kreise meiner Untergebenen befindet. Im Gegenteil! Es hilft, sich klarzumachen, dass es immer einen solchen Jemand geben wird.

Es ist meine Aufgabe ihn als schwächstes Glied der Kette zu erkennen und so stark zu machen, dass die Kette TROTZ seiner Anwesenheit ein stabiles, tragbares Gebilde wird! Das geht nicht, wenn ich mit der Faust in der Tasche vor ihm stehe. Ich muss ihm vergeben. Ich muss mir selbst gestatten, dass die Umstände sind, wie sie sind und ich dennoch mit ihm arbeiten kann OHNE ihn seine Verfehlungen spüren zu lassen – zumindest nicht im nachtragenden Sinne.

Vergessen muss ich nicht!

Das heißt aber nicht, dass ich vergesse! Auch wenn ich vergebe, werde ich nicht vergessen, dass mein Vertrauen missbraucht wurde – und ich weiß sehr wohl, warum! Hier beginnt ein Wechselspiel: Meine Sicht – seine Sicht.

Für mich, der ich die widrigen Umstände einer Übung kenne, war es nicht nötig, das Vertrauen aufs Spiel zu setzen. Aus der Sicht meines Gegenübers, war die Übung aber keine Kleinigkeit und er war so um seinen Selbstschutz bemüht, dass er möglicherweise gar nicht einzuschätzen wusste, dass er gerade unser beider Vertrauensverhältnis nachhaltig belasten könnte.

Ich als Ausbilder und Vorgesetzter muss professionell bleiben. Die Sache ist viel größer als unser Zwischenmenschliches Verhältnis (und das angeknackste Vertrauensverhältnis). Es ist meine Verantwortung den Schaden zu begrenzen und das erneute Vorkommen eines solchen Vertrauensbruchs gar nicht erst entstehen zu lassen. Nur der Vollständigkeit halber: Der beste Weg ist zu versuchen, sein Selbstvertrauen aufzubauen und so zu festigen, dass er künftig zwar die Belastung einer Übung wahrnimmt, die Herausforderung aber annimmt, statt davon zu laufen.

Privat kann ich, aber muss nicht

Ich höre ich sagen: „Im Privatleben muss ich mich nicht mit aller Macht mit Jedermann zusammenraufen.“ Ich sage: „Möglicherweise.“

Natürlich muss ich das nicht…aber wo führt es hin? Wie leben wir miteinander? Kann ich wirklich jedem dauerhaft aus dem Weg gehen? Was passiert, wenn wir uns dann doch zufällig über den Weg laufen? Selbst wenn ich mit diesem gegenüber nicht spreche, hege ich dennoch Groll in diesem Augenblick, oder nicht?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es ohne Vergebung nicht geht. Nur um es noch einmal deutlich zu machen:

Vergebung heißt NICHT Vergessen!

Vergebung heißt letztlich dem Gegenüber die Macht zu nehmen, das eigene Wohlbefinden nachhaltig zu beeinflussen. Vergebung ist Souveränität im wahrsten Wortsinn: „Ich bin souverän. Ich bin selbstbestimmt. Ich bin eigenständig.“

Fotorealistische antike Steintafel mit eingemeißelter Inschrift: „Ich weiß, was du getan hast. Ich weiß, warum du es getan hast. Ich vergebe dir, dass du es getan hast, aber ich werde es niemals vergessen.“ Symbolbild für Vergebung, Erkenntnis und menschliche Wahrheit.

Der Kreis schließt sich

Ich habe viel geschrieben. Viel gesagt – und doch reicht es nicht, um das Thema Körpersprache ausreichend zu würdigen. Das müsst ihr selbst tun und ich verweise nochmals auf die aufgelisteten Bücher.

Eines kann ich aber sagen (und es ist tatsächlich gesprochenes Wort und keine Körpersprache) und wenn ihr es hört, wisst ihr, dass augenblicklich eure Fähigkeit zur Vergebung gefragt ist:

„Ich sage mal so…“ als Antwort auf eine (Ja/Nein-)Frage genügt, um zu wissen, dass alles danach nicht mehr die volle Wahrheit ist!

Beobachtet es selbst. Hört ihr diesen Teilsatz, sollten alle Alarmglocken schrillen! Es spielt überhaupt keine Rolle mehr, was inhaltlich folgt. Nach diesen 4 Worten geht es nur noch darum, die Gründe für dieses Ausweich- oder gar Täuschungsmanöver herauszufinden! Denn eines von beidem ist es garantiert!

Meine persönliche Vergebung zum Schluss

Ich habe diesen Satz dieses Jahr sehr häufig gehört. Interessanterweise waren es meist Ärzte, die ihn benutzt haben. Soweit es die Ärzte betrifft, habe ich es ihnen beinahe allen durchgehen lassen. Ich verstehe, was sie versucht haben – und es war kein Selbstschutz. Jeder von ihnen musste mich auf dem Weg der Diagnostik mit immer neuen Hiobsbotschaften konfrontieren. Sie versuchten nicht sich zu schützen, sondern sie wollten es mir erleichtern – nicht wissend, dass ich so nicht gestrickt bin.

Das ist der Grund, warum ich es einer Ärztin nicht gestatten konnte: Meiner Hämatologin. Es war kein Vorwurf, keine Zurechtweisung und kein Vertrauensentzug. Es war eine Bitte. Die Bitte ehrlich zu mir zu sein – auch wenn es noch so hart sein sollte. Kein Sahnehäubchen. Kein Zuckerguss. Die Wahrheit – auch wenn die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten einer Wahrheit noch gering sein mag.

Ich erklärte, dass ich wirklich ALLES ertragen kann – alles bis auf eines: UNGEWISSHEIT!

Ihre Antwort auf meine Bitte, war ein einziges Wort: „Versprochen!“

Es war nicht das Wort, sondern ihre Körpersprache. Ich glaubte (und glaube) ihr!

Eine Einladung

Eitelkeiten, verletzte Gefühle…die Liste der Gründe, Menschen zu verdammen und/oder zu verbannen, ist lang. Ich habe euch meinen Weg gezeigt. Wie geht ihr mit der Thematik um? Seid ihr euch der Macht der Körpersprache bewusst. Verlasst ihr euch auf eure unterbewusste Wahrnehmung der Körpersprache oder achtet ihr aktiv darauf? Schreibt wie immer gerne in die Kommentare.


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