August 27

Menschen

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Zeit und Beziehungen

In meinem Beitrag Zeit habe ich dargestellt, was mir Zeit bedeutet und wie ich mit ihr umgehe. Das führt unweigerlich zu den Menschen in meinem Umfeld. Zwischenmenschliche Beziehungen kosten immer Zeit – und ich musste mich, ohne es zu wollen, der Frage stellen, wem ich künftig von dieser kostbaren Zeit noch etwas zukommen lassen möchte.

Rückblende: Krankenhaus und Diagnose

Anfang Juni kam ich mit Verdacht auf einen Schlaganfall ins Krankenhaus. Schnell stellte sich heraus, dass es kein Schlaganfall, sondern eine Hirnhautentzündung war. Dass sich im Nebenbefund schon das multiple Myelom angekündigt hatte, behielt ich damals für mich.

Die Hirnhautentzündung für sich ist eine ernste Diagnose. Und ich gehe mal von mir aus: wenn ich so etwas über jemanden höre, frage ich nach. Erstaunlich war für mich diesmal, dass ich von manchen Menschen kein einziges Wort gehört habe – auch von welchen, die ich eigentlich zu meinem engeren Umfeld gezählt hatte.

Wer bleibt – und wer schweigt

Es gab drei Gruppen:

  • die, die mich mehrmals besucht haben,
  • die, von denen ich regelmäßig Grüße oder Nachrichten bekam,
  • und die, die einfach verschwanden.

Ich will ehrlich sein: eine Anklage ist das nicht. Damals war ich sogar froh, meine Ruhe zu haben. Aber ich nahm es bewusst wahr.

Nach meiner Entlassung sprach ich offener über meinen Gesundheitszustand – verschwieg aber die hohe Wahrscheinlichkeit der Krebsdiagnose. Das war richtig so: niemand musste sich unnötig sorgen, solange es keine Gewissheit gab.

Als die Diagnose bestätigt war, änderte sich mit einem Schlag etwas, das ich so nicht erwartet hatte: Es wurde still. Menschen, die ich Freunde nannte, waren plötzlich weg.

Selbstprüfung: mein Anteil

Also schaute ich zuerst bei mir. Was habe ich getan?

  • Ich habe über 150 Kontakte von meinem WhatsApp-Status ausgeschlossen.
  • Ich habe bewusst gefiltert, wer was sehen darf.
  • Ich habe vor Jahren einen großen Aufwand betrieben, um aus Suchmaschinen zu verschwinden.

Also prüfte ich meine Kontaktliste: 371 Einträge. Geschäftlich und privat. Ich begann zu löschen. Am Ende blieben 146 Kontakte.

Das Ergebnis:

  • Ich kann mit Würde auf meine Kontaktliste schauen.
  • Ich habe Zeit gewonnen.
  • Mein Gewissen ist reiner.

Hilfe geben – und bekommen

Doch es ging nicht nur um Namen in einer Liste. Ich stellte fest: In der Zeit nach der Hirnhautentzündung fiel es mir schwer, Gefälligkeiten zu erledigen. Stattdessen bat ich öfter selbst um Hilfe – und bekam sehr oft Absagen. „Keine Zeit.“ „Passt gerade nicht.“

Das war der Punkt, an dem ich wütend und enttäuscht war. Aber: die anderen ändern sich nicht. Ich musste mich ändern.

Neue Haltung

Heute sortiere ich niemanden aktiv aus. Es passiert von selbst: Wer keinen Kontakt mehr hält, der verschwindet schleichend. Schmerzlos, geräuschlos.

Und ich habe akzeptiert: Wenn etwas nur noch an einer einzigen Person hängt, ist es im Grunde schon gestorben. Das gilt für Beziehungen, Vereine, Unternehmen. Wer trotzdem kämpft, kann Glück haben – wie mein Freund, der die Feuerwehr rettete und heute als Wehrführer Erfüllung findet. Aber die Regel ist es nicht.

Gemalte Illustration von Menschen auf einem Fest, die Freude und Zusammenhalt ausdrücken

So war es, so ist es, so bleibt es.

Mein innerer Kreis

Ich selektiere sehr genau, wer zu meinem „inneren Kreis“ gehört. Darunter sind Menschen, die ich seit 10 oder mehr Jahren nicht mehr gesehen habe – und doch reicht das, wenn Wertschätzung spürbar bleibt.

Ich will nicht alle nennen, aber ein paar muss ich erwähnen:

  • Meine Familie – sie war immer da.
  • Zwei Mentoren, die mich geprägt haben: der eine als Soldat, der andere als Informatiker.
  • Ein Kommilitone, der mich bis heute mit seinem Pragmatismus zur Weißglut treibt – und mir doch so oft den Arsch gerettet hat. 

Seit dem Kindergarten begleiten mich Menschen – ob sie T-Shirts bedrucken, den Herkules bewachen, als „Twitch-Star“ überall präsent sind oder Modellbau (und sich mit mir den Vornamen teilen) betreiben. Manche seit Clacton-on-Sea. Und ganz zum Schluss: ein ¼-Grieche aus Offenbach. (Herr im Himmel, vergib mir, dass ich den Namen der verbotenen Stadt in meinen Blog geschrieben habe!)

Im „schönsten Dorf Deutschlands“ gibt es einen elitären Club aus Glitzer und Glamour, der mich immer daran erinnert, dass ich nie allein stehen werde.

Und dann:

Ich habe eine ‘Gäng’ auf die ich mich verlassen kann – in guten und in ‘Miesen’ Zeiten.Egal, wie es kommt: HAUPTsache, wir lassen kein ‘Graß’ über die Sache wachsen und bleiben lange SCHMIDTeinander. Das wäre ‘Gail.’ Und wenn alle Stricke reißen, habe ich noch immer zwei mit dem richtigen BISS – und ein paar Fuhrmänner, die mich überall hinbringen, wenn nichts mehr geht.

Fazit

Ihr alle seid die, die übrig sind. Ihr tragt mich. Ihr helft mir, mein Leben so zu leben, wie ich es will. Und deshalb ist mir egal, welche Schicksalsschläge noch kommen: Ich weiß, ich kann sie tragen – solange ihr nicht geht.


Wie geht ihr mit Menschen um? Habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht und falls ja, wie fiel eure Reaktion aus? Welche Konsequenzen habt ihr für euch daraus gezogen? Fühlt euch wie immer herzlich eingeladen einen Kommentar zu schreiben.


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Erkenntnisse

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  1. Gude

    Und wieder bist du mir gegenüber wieder ein Stück voraus – macht mich wieder nachdenklich – was hast du, was ich nicht habe ?
    Wahrscheinlich, nein, SICHER hänge ich/wir an der Vergangenheit zu fest, schöne Erinnerungen hängen dran.

    Aber – wir sind älter geworden, vor 24 Jahren haben wir unser Zuhause in WK verlassen und unser neues Zuhause in
    F-dorf gefunden, hier fühlen wir uns sehr wohl.

    Vor 3 Jahren haben wir die Lokation in
    F-dorf gewechselt, vom Haus in eine Wohnung – dieser Schritt hat uns befreit,
    befreit von Sorgen, Arbeit um nur zwei von vielen anderen mehr, wir haben plötzlich mehr Zeit für uns.

    Hierbei sind natürlich Kontakte nach WK
    In den Hintergrund gerückt, durch das älter werden und damit verbundenen Einschränkungen in der Mobilität – wir wollen Zuhause sein, bevor es dunkel wird.

    Auch gesundheitliche Einschränkungen seien hier genannt, ich erwähne an dieser Stelle mal nur meine Hauptursachen dafür – Augen und Ohren – alleine die beiden Sinnesorgane zeigen Auswirkungen.

    Durch deine Krankheiten und die Gespräche mit dir, habe ich nun Erkenntnisse, die auch mich und ich glaube ich kann das auch bei deiner Mom feststellen, zum Umdenken gebracht haben.

    Wir haben keine Zeit mehr um etwas aufzuschreiben, wir müssen es jetzt machen !!!!
    Und wir machen es jetzt !!!

    Deshalb haben wir gestern spontan, vor einem geplanten Arzttermin, im Vorübergehen am Landeplatz des Zeppelins, der zur Zeit in Bad Homburg zu Gast ist, noch am selben Tag, einen Flug gebucht, einen Flug, der schon sehr lange in unseren Köpfen war.

    Das war sehr spontan, sehr teuer, aber Sch… egal, wir haben uns den Traum erfüllt und es war geil !!!

    Und allein diese Erkenntnis hat uns überzeugt – so müssen wir weiter machen, solange es noch geht, wenn wir nicht mehr dazu in der Lage sind und wir uns gegenseitig täglich helfen müssen und aus gesundheitlichen Gründen nichts unternehmen können, dann haben wir hoffentlich noch viele Unternehmungen hinter uns gebracht, von denen wir in der Erinnerung träumen können.

    In diesem Sinne – tuen wir es gleich, wir können nichts in die Zukunft verschieben.

    Man möge mir eingeschlichene Fehler nachsehen …

    de Vadder

    1. Dann tut der Blog was er soll. Ich würde mich freuen, wenn mehr Menschen zu dieser Erkenntnis kommen, ohne eine schwere Krankheit bekommen zu müssen. Denn wenn man ehrlich ist, ist es ganz leicht so zu leben. Es geht zu jeder Zeit. Mit Kindern, ohne Kinder. Mit Partner und ohne. Gesund oder krank. Solange geatmet wird, bleibt immer ein Rest, mit dem sich noch irgendetwas – und sei es noch so klein – etwas anfangen lässt.

  2. Warren Buffett sagte einmal:
    "Only when the tide goes out you'll discover who’s been swimming naked.”

    So, wie es in der Wirtschaft wahr ist (nämlich, dass bei schlechten Zeiten Unternehmen untergehen, die nicht gut vorbereitet oder unstrukturiert sind), so trifft dieses Zitat auch auf persönliche Lebenssituationen zu.
    Wenn die Flut als Metapher für Kraft und Lebensenergie gesehen wird, erkennt man schnell, auf wen man sich verlassen kann, wenn die eigene Kraft mal schwindet oder, wer immer nur "nackt geschwommen' ist. Wessen Zuneigung nur in guten Zeiten bestand.

    Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man tatsächlich nicht durch die Telefonliste gehen muss, weil im Laufe der Zeit die Liste einfach verschwindet. Zack… einfach weg. Genau wie die, die immer nackt geschwommen sind.

    Ich habe nur selten schwere Zeiten in meinem Leben gehabt, aber ich weiß ganz sicher noch, von wem die roten Krücken waren, von wem das Bild, von wem der Schlüsselanhänger.
    Und genau an diese Menschen denke ich.

    Wortwörtlich angezogen, bei Ebbe und Flut.

    1. Warren Buffet verwaltet aktuell mein Vermögen…nein, Spaß beiseite.

      Ich finde wenn die "Störgeräusche" erstmal weg sind, dann macht es die, die übrig bleiben, umso wertvoller. Ich ärgere mich deutlich weniger, über die, die weg sind und freue mich mehr, über die die da sind. Ich verspüre nicht mal den Wunsch nach irgendeiner Art von Genugtuung gegenüber denen, die ich selbst nicht mehr will. Mir ist egal, ob sie irgendwann merken, was sie verloren haben oder nicht. Ich bin einfach nur dankbar, für die gewonnene Lebenszeit. Sie gehen ihren Weg, ich meinen. Einfach loslassen.

  3. Guten Tag Herr Heintze,
    ich möchte Sie ermutigen genau so wie in dem Zeitungsartikel beschrieben, weiter zu machen. Vielen Außenstehenden/Nichtbetroffenen ist das Krankheitsbild "Multiples Myelom" nicht bekannt und wenn die dann "Krebs" hören ist das immer was Schlimmes/Gefährliches. Da hilft dann nur Aufklärung.

    Lassen Sie sich auf keinen Fall von Ihren Plänen abbringen. Ziehen Sie das einfach durch und Sie werden feststellen wie gut das Ihnen tut.

    Das war mir wichtig Ihnen mitzuteilen.
    Meine Diagnose "bösartiges multiples Myelom" erhielt ich im Sommer 2014 und hatte dann Ende 2014 eine Hochdosis Chemotherapie.

    1. Ich danke ihnen sehr. Ich bin bemüht auf das zu blicken, was momentan ist und was funktioniert. Alles andere kommt irgendwann von ganz allein. Ich möchte meine Zeit nicht damit zubringen, den Kopf hängen zu lassen, obwohl alles in bester Ordnung ist (und momentan spüre ich die Erkrankung nicht. Das wird sich ändern und es wird der Tag kommen, an dem ich mich all den Behandlungen werde stellen müssen – und das werde ich – aber bis dahin habe ich ein Leben zu leben.

      Ich habe in dem Zusammenhang etwas Schönes gelesen:
      "Für die meisten Menschen ist morgen ein neuer Tag. Für die, die es verstanden haben, ist 'morgen' ein Tag weniger."

      Ich erlebe gerade, dass ich das, was der Krebs mir gegeben hat – nämlich die vielen Erkenntnisse – nicht weitergeben kann. Ich habe ein ganz neues Gefühl in mir: Wertschätzung. Zeit, Gesundheit, Beziehungen, Ruhe…das alles hat einen ganz neuen Stellenwert bekommen. Unwesentliches gleitet in rasender Geschwindigkeit aus meinem Leben und ich wundere mich darüber, wie mir diese Dinge einmal so wichtig sein konnten, dass ich darüber die wirklich wichtigen Dinge völlig aus den Augen verloren habe.

      Wenn ich. ihre Worte lese, dann macht mir das Mut. 11 Jahre und sie schreiben mir. Sprechen mir Mut zu und ich höre nicht eine Silbe der Traurigkeit, Enttäuschung oder Bitterkeit heraus, sondern Mut, Zufriedenheit, Zuversicht, Klarheit. Das gibt mir genau das, was ich brauche, um auf meinem Weg bleiben zu können. So komisch das klingen mag, aber ich empfinde auch eine große Dankbarkeit. Natürlich könnte ich mir etwas Angenehmeres als eine bösartige Krebserkrankung vorstellen, aber sie hat mir auch etwas Großartiges gegeben und ich weiß nicht, ob ich das ohne Krebserkrankung je hätte erreichen können.

      Wie gesagt: Es ist sehr schade, dass ich es nicht so ohne weiteres weitergeben kann, aber ich hoffe sehr, dass ich hier Menschen erreichen kann, die hier eine Perspektive finden, um mit ihrer Erkrankung (oder Lebenssituation) umzugehen. Für mich war die Diagnose kein Ende. Es ist der Anfang einer letzten Abenteuerreise und ich weiß nicht, wie kurz oder lang sie sein wird. Aber ich spüre jeden Tag, dass es eine großartige Reise wird. Ich werde all mein angesammeltes Wissen, meine Lebenserfahrung, meinen Mut, mein Herz und meinen Einfallsreichtum einbringen müssen/dürfen, um diese Reise zu meinem 'Meisterstück' zu machen.

      Ich danke ihnen wirklich sehr für ihre Worte und möchte sie gerne einladen: Bleiben sie. Lesen sie mit. Schreiben sie mit und bleiben/werden sie ein aktiver Teil dieser Seite. Ich glaube sehr, dass sie viel erlebt haben und viel beitragen können. Vielen, vielen Dank…und ich wünsche auch ihnen weiterhin alles erdenklich Gute.

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