Oktober 21

Die Schönheit des Unvollkommenen – Warum wahre Gesten nie perfekt sind

Wir wollen alles richtig machen – und scheitern oft an unseren besten Absichten. Warum Unvollkommenheit ehrlicher, menschlicher und wirkungsvoller ist als jede große Geste.

Körpersprache als Grundlage

Ich bin ein Mensch, der grundsätzlich davon ausgeht, dass Menschen in allerbester Absicht handeln. Natürlich weiß ich, dass das nicht immer stimmt – aber in meiner Wahrnehmung ist es so. Oft ist es nur schwer zu erkennen.

Ich bin extrovertiert und habe keine Angst, mein Innerstes zu zeigen. Ich glaube nicht, dass mich das angreifbarer macht als den stillen Taktiker, der versucht, sich vor allem und jedem zu schützen.

Ich glaube das aus gutem Grund nicht. Denn wir reagieren nur oberflächlich auf das, was wir hören – unsere Wahrnehmung reicht tiefer. Wir nehmen auch, meist unbewusst, die feinen Mikrozeichen der Körpersprache wahr. Sie verraten uns fast alles, was wir wissen müssen.

Ich selbst nehme diese Zeichen etwas bewusster wahr. Nicht, weil ich ein besonderer Mensch bin, sondern weil ich es lernen musste. Als Ausbilder bei der Bundeswehr war es essenziell, solche Signale zu erkennen – um im entscheidenden Moment zu sehen, wenn jemand drohte, an der Aufgabe oder am Gruppendruck zu zerbrechen.

Die besten Absichten

Ich bin überzeugt, dass die meisten Menschen gute Absichten haben – manchmal sehr offensichtlich, meist subtil. Doch gerade in den offensichtlichen Handlungen liegt eine Gefahr.

Ein Beispiel:

Wir möchten einem besonderen Menschen eine besondere Aufmerksamkeit schenken – ein handgeschriebener Brief, ein selbstgemachtes Geschenk, etwas Persönliches, das Zeit und Mühe kostet. Oft kündigen wir unser Vorhaben an, um zu zeigen, wie wichtig uns dieser Mensch ist.

Doch genau hier beginnt der innere Druck.

Wenn gute Absichten zu Druck werden

Nach der ersten Euphorie kommt der Alltag zurück – und plötzlich stellen wir fest, dass wir noch nichts umgesetzt haben.

Das schlechte Gewissen klopft an: Wir wollten ja etwas Gutes tun. Jetzt wird die Ankündigung zur Bürde. Sie verlangt, dass das Ergebnis „groß“, „besonders“ und „würdig“ wird.

Und dann kommt sie, die alte Bekannte: die Prokrastination.

Wir stürzen uns in alles Mögliche, nur nicht in das, was wirklich ansteht. Bis unser Vorhaben zu einer leisen, mahnenden Stimme wird – die immer dann wieder laut wird, wenn uns etwas an die Person erinnert, für die es gedacht war.

Wie wir den Teufelskreis durchbrechen

Mit Unvollkommenheit!

Unvollkommenheit ist für mich eine der schönsten Gesten, die es gibt. Sie überstrahlt alles – weil sie echt ist. Spontanes Handeln ist nie perfekt. Es ist selten groß, selten teuer, aber immer ehrlich.

Was spricht also dagegen, einem Impuls sofort zu folgen? Eine kleine Geste, eine Nachricht, eine Umarmung, ein schlichtes „Danke“ – umgesetzt mit den Mitteln, die uns jetzt zur Verfügung stehen.

Das sind die Momente, in denen das Leben geschieht, anstatt geplant zu werden.

Warum große Gesten oft nicht wirken

Um das zu verstehen, müssen wir nur die Perspektive wechseln – vom Geber zum Empfänger.

An die Damen: Braucht es wirklich den großen Blumenstrauß? Oder ist das spontan gepflückte Gänseblümchen nicht viel berührender?

An die Herren: Ist es der teure Whisky in der Geschenktüte – oder zwei Gläser, Musik und ein gemeinsamer Abend im Garten?

Eine Flasche Talisker Port Ruighe Single Malt Scotch Whisky steht auf einem Tisch, daneben ein halb gefülltes Nosing-Glas, beleuchtet von einem warmen Lichtkegel vor dunklem Hintergrund.

Ein Moment der Ruhe, eingefangen im goldenen Licht eines Single Malt Scotch und dazu die Klänge von Ozzy und Black Sabbath

Große Gesten überfordern oft – emotional, finanziell, zeitlich.

Ein handgeschriebener Brief kann wunderschön sein, aber er setzt den Schreiber unter Druck und den Empfänger in Erwartung. Ein teures Geschenk kann Verlegenheit auslösen. Und am Ende verwelkt der große Strauß genauso wie das kleine Gänseblümchen – nur, dass man sich an Letzteres oft länger erinnert.

Die Unvollkommenheit erkennen und annehmen

Das Unvollkommene ist kostbar, weil es echt ist.

Ich gebe in dem Wissen, dass es nicht perfekt ist – aber ehrlich. Ich gebe, weil ich will, weil ich muss, weil ich es jetzt tun möchte.

Die Unvollkommenheit zeigt die Ernsthaftigkeit der Absicht.

Sie ist frei von Kalkül und frei von der Angst, zu wenig zu sein. Und genau das macht sie so wertvoll – beim Geben wie beim Empfangen.

Denn oft sagen wir bei großen Gesten:

„Das kann ich doch nicht annehmen.“

Aber die Wahrheit ist: Wir wollen sie nicht annehmen, weil sie nicht passt. Sie überfordert, sie wirkt unnatürlich.

Die kleinen, unvollkommenen Gesten dagegen treffen uns im richtigen Moment. Sie überraschen, sie berühren – und sie bleiben.

Das Gänseblümchen wird gepflegt, bis es verwelkt. Der Whisky-Abend bleibt in Erinnerung:

„Weißt du noch, an dem Abend …?“

Fazit

Erinnern wir uns daran: Es sind nicht die großen Gesten, die zählen. Kündigen wir nicht an – handeln wir. Sofort. Unvollkommen.

Es nimmt den Druck. Es nimmt das schlechte Gewissen. Und es gibt uns etwas zurück, das unbezahlbar ist:

Resonanz, Zufriedenheit und das gute Gefühl, einer guten Absicht gefolgt zu sein.


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